Die erschöpfte Freiheit

2025-10-28
Grundlagen der Freiheit und Verantwortung

Freiheit beginnt nicht mit großen Reden oder historischen Ereignissen, sondern im Alltag – in kleinen Entscheidungen, in der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Unsere Generation hat Freiheit als lebendigen, manchmal unbequemen Zustand erlebt: riskant, widersprüchlich, herausfordernd. Heute wirkt sie oft steril und kontrolliert, wie ein sorgsam portionierter Apfelmus – ungefährlich, glatt, berechenbar.

Die Veränderungen kamen schleichend. Finanzkrise, Flüchtlingsströme, Pandemie, Klimadebatten – stets lautete die Botschaft: „Handeln, ohne zu hinterfragen.“ Wer Zweifel äußerte, riskierte Ausgrenzung. Freiheit wurde verwechselt mit Gehorsam, Verantwortung mit Kontrolle. Schulen, Medien, Universitäten und Politik scheinen immer stärker die Grenzen des Denkbaren zu definieren – nicht mit Gewalt, sondern subtil, durch Normen, Anpassungsdruck und moralische Schuld.

Doch wahre Demokratie lebt von Fragen, Widerspruch und Mut. Freiheit ist kein Service des Staates, kein garantiertes Recht auf Sicherheit, sondern ein Prozess, der Verantwortung verlangt. Wer sie bewusst lebt, übt Urteilskraft, wagt Irrwege, diskutiert, widerspricht. Verantwortung bedeutet nicht Unterordnung – sie bedeutet Handlungsfähigkeit, Wachsamkeit und die Bereitschaft, unbequem zu sein.

Freiheit ist kostbar. Sie wird nicht vererbt, sondern täglich erneuert – durch jeden von uns. Wer sie verlernt, merkt es vielleicht erst, wenn es zu spät ist.

Grundlagen der Freiheit und Verantwortung
Es begann nicht mit Panzern, Barrikaden oder Staatsanwälten. Es begann mit einem Lächeln, einem harmlos klingenden Satz: „Wir müssen Verantwortung übernehmen.“ Niemand rief nach Zensur, niemand drohte offen – und doch schlich sich die Frei­heit davon. Sie schlich durch Talkshows, in denen Solidarität plötzlich bedeu­tete: Schweige, selbst wenn du keinen Sinn darin siehst. Sie schlich durch politische Reden, die Vertrauen einfor­derten, ohne zu erklären, warum Zweifel gefährlich sein sollen.
Ich gehöre zu einer Generation, für die Freiheit mehr war als ein Schlagwort. Sie war unbequem, unberechenbar, riskant. Frei­heit war kein schöner Schein, den man auf Antrag beim Bürger­amt er­hielt; sie war ein lebendiger Zustand, der forderte, wider­sprach, provozierte. Heute jedoch schmeckt sie nach kontrollier­tem Ap­felmus: ungefährlich, glatt, steril. Stören darf sie nicht, kosten auch nicht. Denn Freiheit ist unbequem. Sie erzeugt Unsi­cherheit – besonders bei denen, die Macht verwalten und Stabili­tät predi­gen.
Die Veränderungen, die ich beobachte, erfolgten schleichend, schrittweise, kaum merklich. Zuerst die Finanzkrise, dann die Flüchtlingskrise, Corona, die Klimadebatten, schließlich Krieg. Jedes Mal lautete die Parole: „In dieser Situation müssen wir han­deln.“ Wer widersprach, riskierte mehr als ungläubige Blicke. Heute gilt schon bloßer Zweifel als moralisches Versagen, als Zei­chen von Unsolidarität oder gar Gefährlichkeit. Der Staat – der einst Schutz versprach – verwandelte sich in einen Verwalter der Freiheit. Sie wird zugeteilt wie Heizöl im Winter: Wer zu viel beansprucht, bekommt Ärger.
Besonders deutlich wurde dies während der Corona-Maßnah­men. Vorsicht war notwendig, Vorsorge richtig – doch das Schweigen war drückend. Eine mediale Einheitsfront verkünde­te, was richtig, notwendig und unverhandelbar sei. Wer die Sinnhaf­tigkeit von Schulschließungen oder Lockdowns infrage stellte, wurde atta­ckiert – nicht nur argumentativ, sondern mora­lisch. Zweifel wur­den ausgegrenzt, diffamiert, ihre Äußerer zu „Ver­harmlosern“ er­klärt. In diesen Momenten wurde deutlich, dass un­sere freiheitli­che Ordnung instabiler ist, als wir glauben. Freiheit lebt nicht von Paragrafen, sondern von Menschen, die sie vertei­digen – auch ge­gen den Strom, auch unbequem.
Die Mechanismen sind subtil. Freiheit wird nicht offen genom­men, sie wird untergraben. Sie wird mit Fürsorge, Kon­trolle, Ver­antwortung verwechselt. Wer Kontrolle als „verantwor­tungsvolles Handeln“ etikettiert, versteht das Spiel: Man fügt sich, bevor man selbst an die Reihe kommt. Redaktionen, Uni­versitäten, Klassen­zimmer, Parteitage – überall zeigt sich ein ge­sellschaftlich veran­kerter Zwang zur Anpassung. Er zwingt uns nicht nur, bestimmte Dinge nicht zu sagen, sondern sie nicht zu denken. Die Parallele zur DDR ist unverkennbar: Damals hieß es vorauseilender Gehor­sam, heute nennt man es verantwortungsbe­wusstes Verhalten. Der Effekt bleibt derselbe.
Ich bin nicht gegen Solidarität, Klimaschutz oder europäische Zu­sammenarbeit. Ich lehne ihre Instrumentalisierung ab, wenn sie Menschen bevormundet. Wenn Brüssel entscheidet, welche Kü­chengeräte wir nutzen oder wie wir unsere Häuser dämmen, ist dies nicht mehr Politik, sondern Regulierung bis in die Privat­sphäre hinein. Die große Lüge ist die der Alternativlosigkeit: Uns wird suggeriert, dass es keine Wahl gebe, dass Widerstand un­schicklich sei, dass Debatte Zeitverschwendung sei. Demokratie lebt jedoch von Alternativen. Wer Alternativen verbietet, verlässt die Ordnung des Diskurses und betritt den Garten der Angst.
Historisch betrachtet ist dies kein Novum. Die Berufung auf das Allgemeinwohl war stets ein Einfallstor für Machtmiss­brauch. Der Wohlfahrtsausschuss der Französischen Revolution begann als Schutzorgan des Volkes und endete in der Guillotine. Auch in der Bundesrepublik gab es Momente, in denen Angst die Freiheit untergrub – etwa die Berufsverbote der 1970er-Jahre, als Beamte und Lehrer unter Generalverdacht standen. Wer glaubt, dies kön­ne heute nicht wieder passieren, unterschätzt die Macht der Träg­heit, die Macht der Angst und die Versuchung, Sicherheit über Freiheit zu stellen.
Das Verlernen der Freiheit zeigt sich subtil: in Selbstzensur, vor­sichtigen Worten, in der Angst, nicht auf Linie zu sein. Demokra­tie ist nicht der Besitz von Paragrafen, Gesetzen oder Wahlzetteln. Demokratie lebt vom Mut der Bürger, Fragen zu stellen, Normen infrage zu stellen, unbequem zu sein. Wer nicht wagt, Verantwor­tung zu tragen, delegiert sie – und gibt damit ein Stück Freiheit auf.
Freiheit ist keine Versicherung. Sie ist kein Service des Staa­tes. Sie ist ein lebendiger Prozess, eine Verantwortung, die jeder tra­gen muss. Sie lebt von der Bereitschaft, sich selbst zu entfal­ten – auch wenn dies Irrwege bedeutet, Fehler provoziert, Wider­spruch erntet. Das ist unbequem. Aber es ist das Wesen der Frei­heit.
Medienlandschaft, Bildungseinrichtungen, politische Kultur – sie alle neigen dazu, diese Verantwortung zu erleichtern, zu kanalisie­ren, zu regulieren. Kritisches Denken wird zur Gefahr, Debatte zur Störung. Wer nicht in den Kanon der Meinung passt, erfährt Druck, Ausgrenzung, moralische Verdammung. So wird Freiheit zur Ware, die rationiert wird, nur in erlaubten Portionen genossen.
Die Gegenwart verlangt nicht weniger, sondern mehr von uns. Mehr Aufmerksamkeit, mehr Widerspruch, mehr Mut. Wir müs­sen die Abstriche erkennen, die wir bereitwillig akzeptieren, und die Normalität hinterfragen, die uns als unverrückbar verkauft wird. Wer dies tut, handelt nicht egoistisch, sondern verantwor­tungsvoll. Verantwortung bedeutet nicht Gehorsam, Verantwor­tung bedeutet Urteilskraft.
Ich schreibe diese Zeilen nicht aus nostalgischer Sehnsucht nach einer idealisierten Vergangenheit, sondern aus Sorge – um eine Demokratie, die beginnt, ihre Bürger für unmündig zu hal­ten, ihre Freiheit zu rationieren und kritisches Denken als Pro­blem zu defi­nieren. Wir stehen nicht am Abgrund einer Diktatur – noch nicht. Aber wir stehen an der Schwelle zu einer Gesell­schaft, die sich an Sicherheit gewöhnt, ohne zu merken, dass Freiheit mehr ist als ein komfortabler Zustand. Sie ist das Funda­ment, auf dem alle ande­ren Rechte ruhen.
Dieses Buch ist ein Versuch, die Erinnerung an diese Freiheit wachzurufen. Es ist keine Anleitung zum Widerstand, kein Auf­ruf zum Aufstand. Es ist eine Einladung, wieder selbst zu den­ken, Verantwortung zu übernehmen, die eigene Urteilskraft zu nutzen – nicht aus Misstrauen, sondern aus Wachheit. Nicht radi­kal, aber klar. Freiheit wird nicht erklärt, sie wird gelebt.
Wer Freiheit leben will, muss bereit sein, unbequem zu sein. Sie verlangt Widerspruch, Diskussion, Irrtum. Sie verlangt Mut – sich gegen Routine, gefühlte Alternativlosigkeit, gesellschaftli­chen Druck zu stellen. Demokratie lebt nicht von der Abwesen­heit von Konflikten, sondern von der Fähigkeit, sie auszutragen. Wer dies verlernt, hat die Freiheit längst aufgegeben – ohne es zu merken.
Und genau hier beginnt die eigentliche Aufgabe: wachsam sein, kritisch denken, Verantwortung tragen. Nicht nur, wenn es be­quem ist, sondern gerade dann, wenn es unbequem wird. Denn Freiheit ist nicht das Geschenk eines Staates, sie ist das tägliche Ergebnis mündigen Handelns.
Wer sie verliert, bemerkt es vielleicht erst, wenn sie unwieder­bringlich verschwunden ist. Dann bleibt nur Ruhe, Ordnung und Sicherheit – und wir werden uns nicht einmal mehr erinnern, wie es sich anfühlte, wirklich frei zu sein.

Danke für Ihre Zeit.
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